Bereits zum zweiten Mal (das erste Mal liegt allerdings schon sieben Jahre zurück war Anselm Grün am Donnerstag, 5. Februar, zu Besuch in St. Joseph und über 400 Menschen kamen in die St. Joseph-Kirche um ihn zu hören. Welche Bedeutung unsere Wurzeln haben und wie wir uns auf sie rückbesinnen können, ist das Thema seines Vortrags. Der bekannte spirituelle Mönch und Buchautor spricht in einer gut gefüllten Kirche und berührt Zuhörer aller Konfessionen.
„Ob Peter – der Fels oder Katharina – die Reine. Unsere Eltern haben einen Namen für uns ausgesucht, mit dem sie uns rufen und in den sie alle Liebe hineingelegt haben“, erklärt Pater Anselm. Er selbst ist von dem mittelalterlichen Theologen und Abt „Anselm von Canterbury“ fasziniert und wählte ihn als Namenspatron. Anselm bedeutet „der von Gott geschützte“. Jeder Name sage etwas über das Wesen und die Fähigkeiten eines Menschen aus. Ein Heiliger sei auch ein Spiegel, mit dem jeder sein eigenes Licht wahrnehmen könne. Auch die Vorfahren haben eine besondere Bedeutung für unsere eigenen Wurzeln.
Warum ist es so wichtig, dass wir mit unseren Wurzeln in Berührung kommen? Grün greift das Bild des „Lebensbaumes“ auf. Wer feste Wurzeln habe, dem machen Krisen nicht so viel aus. Der Baum bleibt gesund – auch wenn ein Ast abgeschnitten wird, holt er sich neue Kraft aus dem Boden. Ohne Wurzeln verdorre der Lebensbaum. Wer zu seinen Wurzeln finde, der blühe wieder auf. Wie der Feigenbaum, für den erst das Erdreich aufgelockert werden muss, damit er Früchte trägt (Gleichnis im neuen Testament), müsse der Mensch auch seine Seele auflockern, damit sie Nahrung aus den Wurzeln ziehen könne. An Allerseelen, das Grün als „Wurzelfest“ beschreibt, verbinden wir uns wieder mit den Wurzeln unserer Vorfahren.
Der Pater spricht an diesem Abend auch ganz offen über die eigenen Wurzeln und darüber, wie ihn seine Eltern und Geschwister geprägt haben. Sein Vater hatte ein Elektrogeschäft und behandelte seine Kunden mit einer großen Achtung. Die Mutter gab die Hoffnung niemals auf. Das seien Stärken, die ihm in seinem Leben helfen.
Wie können wir unsere Wurzeln stärken? In Form von Ritualen können wir Anteil nehmen an der Lebenskraft der Vorfahren, erklärt Pater Anselm. Oft leiern wir das „Vater unser“ herunter oder wissen nicht mehr, welche Bedeutung die christlichen Lieder haben. Aber wenn wir uns bewusst machen, dass schon unser Vater, unsere Urgroßmutter mit diesen Worten ihr Leben bewältigt haben, dann kommt dem Gebet und Gesang eine ganz neue Bedeutung zu. „Unser täglich Brot gibt uns heute“ sei ja eine ganz existentielle Bitte, die auch für uns jetzt gültig sein kann. Unsere Wurzeln, das sei auch die Heimat, sagt Grün. Der Duft, die Ausstrahlung eines Ortes und die jeweilige Muttersprache.
Doch oft seien unsere Wurzeln vergiftet. Etwas „nagt“ an unseren Wurzeln. Die Zweifel, die Sorgen und Krisen. Pater Anselm zeigt Wege auf, wie wir unsere Wurzeln heilen können. Ein wichtiger Faktor hierbei ist für ihn die Vergebung. Vergeben bedeutet, etwas „wegzugeben“, ein aktiver Prozess der Befreiung. Es gehe darum, Schmerz und Wut zuzulassen, aber diese dann in Ehrgeiz zu verwandeln und sich nicht in eine Opferrolle zu begeben. Nur aus der Distanz könne man dann objektiv „verstehen“, was passiert sei. Der Mönch zitiert Hildegard von Bingen, die sagte „die Wunden in Perlen verwandeln“. Das bedeutet, dass man in der Verletzung auch seine Fähigkeiten und Stärken entdecken kann, etwa das Verständnis für einen anderen Menschen aufzubringen, obwohl er einen verletzt hat.
„Ohne Wurzeln keine Flügel“ – die Familie birgt wichtige Wurzeln für den Menschen. Wer den Kontakt abbreche, der beschneide auch seine eigenen Wurzeln. Es sei wichtig, die Herkunft zu achten und nicht schlecht zu machen. „Denn“, so Pater Anselm, „die Wurzeln reichen ja viel tiefer, nämlich in Gott hinein.“ Oft seien es weit zurückreichende negative Ereignisse, die eine Familie über Jahrzehnte hinweg noch begleiten. Ob Kriege, Verfolgung oder Ideologien.
Der zentrale Aspekt für Grün ist, sein inneres, „göttliches“ Kind zu achten. Vielen würde das Gefühl ausgetrieben, etwas Besonderes zu sein. „Ich genüge nicht“, denken sie. Pater Anselm ermutigt, nicht zu jammern, nicht die Schuld bei sich zu suchen, sondern das verletzte Kind einfach zu umarmen und sich zu sagen „Ich bin, wie ich bin“, „Ich genüge, wie ich bin“. Jeder könne seinen Wurzeln trauen. Für Grün ist die Meditation eine wichtige Quelle, seine Wurzeln zu nähren und in die Stille hineinzuspüren. Im Anschluss sprach Grün ein Abendgebet aus dem 16. Jahrhundert, während jeder Besucher die Arme in einer Selbstumarmung vor dem Körper kreuzte. Eine spirituelle Reise ging damit zu Ende.
(Autorin: Mirjam Mögele)